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Ungleichgewicht bei den Löhnen – nur noch 35 % der Unternehmen zahlen nach Tarif

Handschlag

Aufmerksame Zeitungsleser und alle die sich die Nachrichten bewusst ansehen, hören immer mal wieder Nachrichten wie: „Das Unternehmen XY hat einen Sanierungstarifvertrag abgeschlossen“ oder ein „Standort konnte durch Zugeständnisse der Belegschaft“ gesichert werden.

In der Folge bedeutet dies, dass immer weniger Arbeitnehmer nach dem jahrzehntelang geltenden Branchentarifvertrag bezahlt werden. Deshalb gibt es eine immer größere Schieflage zwischen all denen, die nach dem bisherigen Tarif bezahlt werden und denen die die gleiche Leistung für weniger Geld erbringen. Doch was bedeutet dies für die Arbeitnehmer?

Jahrzehntelang garantierte ein Tarifvertrag Mindeststandards

Bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland stand neben einer festen Verankerung der Demokratie der Gedanke der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Vordergrund. Dieser äußerte sich am deutlichsten in der betrieblichen Mitbestimmung – also dem Vorhandensein von Betriebsräten – und der Festlegung von Mindeststandards für die meisten Beschäftigten.

Nach schlechten Erfahrungen mit nicht-demokratischen Staatsformen sollte es deshalb Verhandlungen zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite um sogenannte Kollektivverträge geben. In der Folge werden Mindeststandards im Bezug auf Arbeitszeiten, Entlohnung und auch weitere Sozialleistungen in Branchentarifverträgen festgehalten. Bis auf wenige Ausnahmen konnten bis vor einigen Jahren praktisch alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diese im Vergleich zum Ausland hohen Standards genießen.

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Aufhebung der Tarifbindung: Ideologie oder Notwendigkeit?

Das Münchner Ifo-Institut des in der öffentlichen Diskussion nicht immer ganz unumstrittenen Prof. Sinn hat in einer Untersuchung festgestellt, dass nur noch 35 % der Unternehmen nach Tarif bezahlen würden. Viele Unternehmen wenden den Branchentarifvertrag aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mehr an. Bei der Begründung oder der Einordnung dieser Tendenz kommt es leider auch ganz auf die politische Grundeinstellung oder Farbe an, welche Begründung herangezogen wird.

Einige Unternehmen verweisen schlichtweg auf den steigenden Wettbewerbsdruck im europäischen Binnenmarkt oder die Rabattsucht der Kunden, die ihrerseits stetige Preissenkungen verlangen. In der Folge müssten alle Kostenbestandteile – wie auch die Lohnkosten – überprüft und gesenkt werden. Die direkt entgegengesetzte Argumentationslinie verneint diese Tatsache und geht davon aus, dass die Branchentarifverträge ohnehin nur eine Minimalausstattung garantieren würden. Und jede weitere Lohnsenkung oder Aufweichung der Sozialstandards eigentlich nur Lohndrückerei wäre.

Ob das Fliehen heraus aus der Tarifbindung nun notwendig ist oder Ausdruck einer Ideologie, liegt wohl irgendwo in der Mitte – da gibt es leider nicht die eine, richtige Lösung.

Krisensituationen verschärften die Fluchttendenz aus den Tarifverträgen

In den letzten Jahren hat sich die Wettbewerbssituation in vielen Branchen radikal verändert: Unternehmen wie die Deutsche Lufthansa stehen vor dem Wettbewerb der Billigflieger. Und versuchen die Personalkosten durch Gründung neuer Tochtergesellschaften mit niedrigeren Tarifverträgen zu senken. In anderen Branchen – wie dem Einzelhandel – stehen Unternehmen wie Karstadt/Arcandor vor einer Zeitenwende:

Viele Schnelldreher bestellen die Kunden mehr und mehr im Internet, für die Umgestaltung der Kaufhäuser und neue Nutzungsformen wären eigentlich unglaublich hohe Investitionen notwendig.

Aus diesem Grund schließen die Unternehmen unter der Mitarbeit der Betriebsräte abweichende Sanierungstarifverträge ab und bleiben mit diesen wenigstens halbwegs in der Tarifwelt. In kleineren Unternehmen, die vor einem Umbruch stehen, ist dagegen der Austritt aus dem Arbeitgeberverband ein sehr häufiges Mittel, um die Tarifbindung zu beenden.

Der Mindestlohn sichert die Menschen zusätzlich ab

Allerdings gibt es für alle Menschen, die nicht der Tarifbindung unterliegen, auch gute Nachrichten: Bisher gab es keine gesetzlich festgeschriebene Lohnuntergrenze. Erst bei massiver Unterschreitung eines vom Gericht als angemessen empfundenen Lohnes konnte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber wegen dem sogenannten Lohnwucher belangen lassen.

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in vielen Branchen zieht aber eine neue Unterkante ein, die eine zusätzliche Schutzfunktion bietet. Mit wenigen Ausnahmen (z. B. während der Ausbildung) gibt es jetzt immer mindestens 8,50 Euro pro Arbeitsstunde.

Damit hat der Gesetzgeber auch die Sozialpartnerschaft und die ursprüngliche Idee der Tarifverträge der heutigen Zeit angepasst und reagierte darauf, dass nur noch 35 % der Unternehmen tarifvertraglich bezahlen.

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Titelbild: ©iStock.com/loooby
Textbild: ©iStock.com/Demid

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